José Silva ist seit 2018 Solo-Fagottist des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. An die Musik herangeführt wurde der in Venezuela geborene Musiker durch das Ausbildungsprogramm „El Sistema“, das unabhängig von der sozialen Herkunft allen Kindern des Landes Musik-, Instrumenten- und Orchesterunterricht ermöglicht. Bereits als Jugendlicher spielte er in verschiedenen venezolanischen Orchestern unter Dirigenten wie Gustavo Dudamel, Simon Rattle oder Claudio Abbado; im Alter von 15 Jahren war er erstmals auf Konzerttournee in Europa. Nach seinem Studium in Zürich und einer Akademistenstelle im Bayerischen Staatsorchester kam er 2018 nach Hamburg.
Sie stammen aus Südamerika – anderer Kontinent, anderes Klima, andere Mentalität. Ist es für Sie eine große Umstellung in Europa, speziell in Deutschland zu leben und zu arbeiten?
Ganz am Anfang war es schon eine große Umstellung. Ich war 17 Jahre alt, als ich in die Schweiz gekommen bin und es war für mich das erste Mal, dass ich getrennt von meinen Eltern war. Es war schon ungewohnt, dass ich nicht nach Hause konnte, wenn es mir schlecht ging. Das Klima ist ganz anders, es war für mich anfangs schwierig, damit klarzukommen. Aber ich war sehr motiviert, denn es war immer mein Ziel gewesen in Europa zu studieren.
Wie häufig sehen Sie Ihre Familie?
Zu Beginn meiner Zeit in Europa relativ häufig, da war die politische Situation noch nicht so schwierig wie heute. Dann war es irgendwann nicht mehr möglich, seit drei Jahre war ich nun nicht mehr zu Hause. Das ist manchmal schwer, vor allem in der langen Sommerpause. Meine Schwester studiert Mode in Florenz. Und dort lebt jetzt auch der Rest meiner Familie.
Beunruhigt Sie die politische Lage in Venezuela sehr?
Ja. Es ist meine Heimat und ich möchte, dass alle Menschen dort ein gutes Leben haben. Aber es ist zurzeit sehr schwierig. Man bekommt hier in Europa gar nicht mehr alles mit, was da passiert. Viele Familien sind zerrissen und ich wünsche mir endlich Ruhe für das Land. Irgendwann würde ich auch gern einmal das, was ich hier gelernt habe, den jungen Menschen in Venezuela weitergeben, so wie wir das hier in der Reihe „Tonangeber“ machen.
Sie sind durch das Ausbildungsprogramm „El Sistema“ zur Musik gekommen. Wann wussten Sie, dass Sie Profimusiker werden möchten?
Eigentlich war es nie geplant, dass ich Musiker werde. Anfangs hatten es meine Eltern gar nicht so gut gefunden, sie wollten lieber, dass ich etwas Akademisches mache. Aber in Venezuela hat Musik eine große Bedeutung. „El Sistema“ funktioniert ein bisschen wie eine Musikschule und man spielt von Anfang an auch gleich im Orchester. Meine Schwester wollte Geige lernen und meine Mutter ist mit uns dahingegangen. Ich war acht Jahre alt und interessierte mich für die Klarinette. Aber es war gerade kein Instrument frei und daher habe ich das Fagott bekommen. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein Instrument war. Alle haben gesagt, das ist schwer und das war für mich die Herausforderung. Und es hat mir total großen Spaß gemacht, mit anderen Kindern im gleichen Alter zu spielen und Musik zu lernen. Der Gründer José Antonio Abreu hat einmal gesagt: „Musik kann heilen und das Leben von jedem Einzelnen verändern.“ Es stimmt – sonst wäre ich jetzt nicht hier. Und viele von uns sind auf der ganzen Welt verstreut, in Deutschland, Amerika, Frankreich.
Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?
In Venezuela gab es im Rahmen von „El Sistema" viele Meisterkurse mit führenden Fagottisten. Als ich meinen späteren Professor Matthias Racz kennengelernt und gehört habe, dachte ich sofort: „Wow, das möchte ich auch machen!“ Er war ein Mentor für mich und sehr oft da, hat sich viel für Kinder und Jugendliche eingesetzt. Und es war für mich früh klar, dass ich bei ihm in Zürich studieren wollte. Erst einmal musste ich deutsch lernen und wurde dann ein Jahr lang Jungstudent.
Haben Sie auch mit Gustavo Dudamel zusammengearbeitet?
Ja, oft. Er hat regelmäßig alle Musikschulen besucht. Das war noch zum Anfang seiner Karriere und wir Kinder haben alle gestaunt und waren beeindruckt. Aber er war ein ganz normaler Mensch, sehr fröhlich und freundlich. Später hatte ich die Möglichkeit im Simón Bolívar Orchestra unter ihm zu spielen.
Und Sie waren bereits als Jugendlicher auf Europatournee.
Mit dem Teresa Carreňo Youth Orchestra konnte ich 2010 an einer Tournee teilnehmen, da war ich 15 Jahre alt. Ich war das erste Mal in Europa und dann gleich in den unglaublichsten Konzertsälen: Wiener Konzerthaus, Concertgebouw in Amsterdam, Berliner Philharmonie, Royal Albert Hall! Wir durften auch eine Probe der Berliner Philharmoniker hören und das war für mich der Moment, wo ich wusste: „Ich muss es schaffen!“
Was gehört aus Ihrer Sicht dazu, wie schafft man es?
Natürlich ist Talent wichtig, aber Üben und Arbeiten ist noch viel wichtiger. Was man aber unbedingt haben muss, ist Leidenschaft. Du musst lieben, was Du tust, egal, in welchem Beruf.
Das Gespräch führte Hannes Rathjen
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